Endlich ist es soweit: Ich stelle Teile meiner Dissertation online! Das ist wahrlich aufregend für mich. Ich will – und ich „muss“ – vorweg natürlich ein paar Dinge sagen. Zuerst zeige ich mein Werk, wie ich es im Rigorosum am 18.10.2017 in vier „Zuständen“ präsentiert habe: In der schwarzen Leinen-Tragetasche (ganz links, fast versteckt), dann aufgestellt als ein Holz-Buch, weiter aufgeklappt mit gleichsam „intarsiensisch“ eingearbeiteten fünf Teil-Oberflächen und schließlich in seinen 13 Einzel-Teilen „aufgeblättert“.
Michael Zinner (2016): Schulen bilden. Dissertationsschrift. Linz: Buchbinderei Strandl © Philipp Steiner
Was ist das Thema?
Mich hat folgende Frage beschäftigt wie begeistert: Inwiefern macht die persönliche Art der Fähigkeit, die Welt zu erfassen bzw. sich ein Bild von der Welt zu machen und eine Bedeutung aus ihr zu bilden – ich nenne das veranschaulichend den persönlichen „Grad an Reife“ – einen Unterschied im Agieren von Personen und/oder Gruppen aus? Diese Art der Fragestellung stammt von Theorien, die das Geschehen in einer Person, in sozialen Systemen oder in geschichtlichen Prozessen unter dem Aspekt von „Entwicklung“ reflektieren. Ich fasse sie als entwicklungsbezogene Theorien zusammen und beziehe meine Referenzen aus ihnen (Wirtschaftswissenschaft, Politikwissenschaft, Organisationstheorie, Kulturphilosophie, Philosophie, Entwicklungspsychologie).
Sie alle weisen Ähnlichkeiten auf. Und sie gehen fast alle auf den Kulturphilosophen Jean Gebser zurück. Dieser stellte in den 1930er und 1940er Jahren des 20. Jahrhunderts das kulturgeschichtliche Geschehen der Menschheit in seinem mehrbändigen Werk „Ursprung und Gegenwart“ als eine Abfolge von fünf grundlegenden Mutationen von Bewusstsein dar (archaisch · magisch · mythisch · mental · integral). Aktuellere Theorien (Scharmer, Wilber, Loevinger, Kegan) sehen meist ab der mythischen Welt vier weiter bzw. feiner ausdifferenzierte „Grade“ oder „Stufen“ von verschieden entwickelten Weltauffassungsvermögen oder Bewusstseinsverfasstheiten – mit einer je eigenen Sprache bzw. je eigenen Begrifflichkeiten.
Ich stelle fünf dieser feiner differenzierten „Stufen“ hier vor und wähle dazu bewusst ein eigenständiges allgemein verständliches Wording, das ich mittels der bekannten Metapher vom Tellerrand verstärken bzw. veranschaulichen will:
naturbezogen (noch ohne Teller)
selbstbezogen (mitten im Teller)
sachbezogen (am Tellerrand)
sozialbezogen (über den Tellerrand hinaus)
allbezogen (zur gleichen Zeit ohne und mit Teller von inmitten bis rundum)
Das Wesentliche für das Verstehen dieser „Stufen“ ist ihr jeweils umarmender Charakter. Eine „frühere Stufe“ ist in der nächsten „späteren Stufe“ eingebettet. „Früheres“ steht „Späterem“ zur Verfügung, zumindest potenziell. Umgekehrt ist das nicht möglich, weswegen das Phänomen „Entwicklung“ eine Orientierung, einen „Sinn“ zu haben scheint (Sinn ist die alte Bedeutung von Richtung, wie beim Uhrzeigersinn). Je später also eine „Stufe“, desto umfassender ist das ihr innewohnende Potenzial. Ich spreche am liebsten von „Hüllen“. Deswegen habe ich in meinem Versuch, diese Theorien in sogenannten „Tafeln“ zusammenzuschauen, auch polyzentrische Kreisschreiben eingesetzt (genau genommen müssten es Hüllflächen eines Ringtorus sein, weil dann auch polare Pendelphänomenen und Umstülpungsgeschehen abbildbar werden – dem widme ich mich in hinkünftigen Arbeiten).
Was ist mein eigener Beitrag?
Mein erster Beitrag liegt in dem verrückten Versuch, Theorien von Otto Scharmer, Frederic Laloux, Jim Rough, Jane Loevinger und Robert Kegan in Bildern künstlerisch zusammenzuschauen und wesensmäßig durchsichtig werden zu lassen (Synoptik & Diaphanie). Dies fällt mir vorerst als Künstler leicht(er) und beeinflusst wiederum mein Denken als Wissenschafter in fruchtbarer wechselwirkender Weise. Form und Inhalt stehen ja nicht beziehungslos nebeneinander, sondern sind beständig miteinander in lebendiger Berührung (dieser Umstand ist übrigens auch ein Grund, warum mich viele wissenschaftliche Arbeiten beim Lesen traurig stimmen: Sie sind „nicht schön“ bzw. „formal belanglos“ – und dies aus Gedankenlosigkeit oder aus dem Glauben heraus, dass die Form unbedeutend sei).
Mein zweiter Beitrag ist das Hereinholen der entwicklungsbezogenen Perspektive in den Diskurs von Architektur. Mein vordergründiges Forschungsfeld dazu ist der Schulbau, was natürlich nicht zwingend so sein muss. Schulbau ist für mein Forschungsansinnen gut geeignet, weil hier – ähnlich wie in manchen Bereichen der Urbanistik oder des Wohnbaus – die Themen Teilnahme, Teilgabe und Teilhabe konfliktträchtig „herumgeistern“. Werden diese in unser kollektives Branchen-Unterbewusstsein verdrängt, können sie die Form von Dämonen annehmen. Auch deswegen sehe ich einen „Sinn“ darin, mich diesem Thema zu widmen.
Was sind meine Erkenntnisse?
Während ich in der „Tafel 3/0 Schule“ auch noch Wissen von anderen zusammentrage bzw. umfasse, sind die „Tafel 4/0 Architektur“ und die „Tafel 5/0 Prozesse“ genuine eigenständige Ergebnisse meiner Dissertation. Im Theoriebuch beschreibe ich dazu das geschichtliche Geschehen im Schulbau entwicklungsbezogen (Kapitel 4.3: Die Entwicklung von Schulraum); ich deute das (Selbst)Verständnis von Autor·inn·enschaft entwicklungsbezogen (Kapitel 4.2: Architektur aus evolutionärer Perspektive); und ich unternehme den Versuch, meine eigene aktionsforschende Arbeit entwicklungsbezogen einzuordnen (Kapitel 5.2 / 5.3: Was es ist / Was es auch sein könnte).
In einer sprachlich-etymologischen Weiterentwicklung zur Dissertation und unter Anlehnung an den Begriff „anonyme Architektur“ (Bernhard Rudofsky) stelle ich im Folgenden Autor·inn·enschaft in fünf „Stufen“ als Kernaussage vor:
kulturbezogen: anonym (a+onym) / ohne Ich-Identität
selbstbezogen: autonym (auto+onym) / explizite Ich-Identität
sachbezogen: onym (Wortstamm) / implizite Ich-Identität
sozialbezogen: kononym (ko+onym) / nicht nur Ich-Identität
allbezogen: transonym (trans+onym) / Ich-nicht-Ich-Identität
Wie ist die Dissertation aufgebaut?
Meine Arbeit ist – wieder verrückt – umfangreich. Sie besteht aus einem Buch, wie es die Universitätsbibliothek vorschreibt, mit zwei hölzernen Seiten, die je sieben Zentimeter dick sind. Aufgeklappt zeigt sich mein Holzbuch mit dem Titel „Schulen bilden“ wie eine Intarsie, in der fünf Bücher, sieben Tafeln und ein Begleitheft eingebettet sind. Die fünf Bücher und die sieben Tafeln folgen dieser aussagekräftigen Kapitelstruktur:
1 – Einleitung / Erklärung / Auftakt
2 – Entwicklung
3 – Schule
4 – Architektur
5 – Prozess
6 – Fazit / Projekte / Antworten
Wie und an welchen Orten steht das Original zur Verfügung?
Die Dissertation ist ein sinnliches Gesamtkunstwerk und existiert in dieser Form zehnmal. Sie ist im Besitz von Roland Gnaiger (Doktorvater), Franz Hammerer (Gutachter), Rosa Strasser (Betreuerin), nonconform (Forschungspartner-Büro), der Bibliothek der Kunstuniversität Linz, der Nationalbibliothek Österreich und mir selbst. Die Bibliotheks-Exemplare können vor Ort gelesen werden. Um das achtsame Handhaben des Holzbuches zu unterstützen, stelle ich hier eine technische Bedienungsanleitung zur Verfügung. Ein persönliches Exemplar ist seit Herbst 2016 auf Wanderschaft. Es besucht ausgesuchte Freunde bzw. Fachleute, um diese ihrerseits zum Besuch in meinen Welten einzuladen.
In welcher Reihenfolge soll gelesen werden und was ist downloadbar?
Meine Dissertation ist als offenes Kunstwerk (Umberto Eco) konzipiert. Sie ist mit eigenem „Sinn“ (Richtung) zu rezipieren. Ich lade Gäste also ein, in meiner Arbeit zu flanieren. Wird ein Überblick benötigt, bietet sich zuerst das Begleitheft an, in dem auch das Abstract zu finden ist. Alle Bücher bzw. Tafeln sind selbstredend. Wenn zitiert wird, bitte Buchteil und Seite angeben, ansonsten: Michael Zinner (2016): Schulen bilden. Dissertationsschrift. Linz: Buchbinderei Strandl.
Als Download verfügbar:
Schulen bilden – verbindende Informationen
Widmung
Wanderkarte
Abstracts
Verzeichnisse
Dank
Chorales Gestalten – theoretische Überlegungen
Kapitel 1 – Einleitung
Kapitel 2 – Entwicklung (Referenzen)
Kapitel 3 – Schule
Kapitel 4 – Architektur
Kapitel 5 – Prozess (nonconform ideenwerkstatt)
Kapitel 6 – Fazit
Kapitel 7 – Dokumentation (aktionsbeforschte Projekte)
Kapitel 8 – Umfrage (zu den Projekten)
Tafeln – Referenzen und Ergebnisse
Tafel 2/1 – Otto C. Scharmer (U-Theory)
Tafel 2/2 – Frederic Laloux (Reinventing Organizations)
Tafel 2/3 – Jim Rough (Wisdom Councils, Dynamic Facilitation)
Tafel 2/4 – Jane Loevinger & Robert Kegan (Psychologie Erwachsener)
Tafel 3/0 – Schule
Tafel 4/0 – Architektur
Tafel 5/0 – Prozesse
Als Download noch nicht verfügbar:
Eigenleben – biografische Notizen
Bildwelten – visuelle Fundstücke
Im Austausch – Gespräche & Korrespondenz
Tonspuren – akustische Ausschnitte
Begleitheft, Theoriebuch und Abstract meiner Dissertation sind mit der Website www.partizipation.at wechselseitig verlinkt.