Der Paradigmenwechsel in der Pädagogik vom gleichgeschalteten Unterrichten von Gleichaltrigen zum individualisierten Lernen von unterschiedlichen Schülerpersönlichkeiten ist aufregend und fordert uns alle! ›Angst oder Liebe‹ nennt Wagenhofer radikaler-weise den Untertitel zu seinem Film, der im Haupttitel noch recht brav ›Alphabet‹ heißt. Wilfried Schley vom Institut für Organisationsentwicklung und Systemberatung in Hamburg und Zürich schrieb dazu schon 2008 in seinem Text ›Häutungen‹: »Das klassische Lernen versucht den Fehler zu vermeiden und ist angstgetrieben. Angst reduziert jedoch die Ressourcen des Gehirns. ›Angst essen Seelen auf‹ titelte Filmemacher Fassbinder, heute müssen wir schärfer sagen: ›Angst frisst Hirn!‹« Die Erkenntnisse der Neurowissenschaften sind also der historische Tropfen, der das pädagogische Fass zum Überlaufen bringt. Auch der ›Doyen des Archivs der Zukunft‹ Reinhard Kahl sprach am 26. Mai 2014 vor der Industriellenvereinigung in Wien von einer »pädagogischen Müllabfuhr«, die mittlerweile nötig ist.
Ich bin entspannt. Ich meine, die wirtschaftliche Krise verschärft das alles noch, überall muss gespart werden. Dieser enorme Druck, der sich hier aufbaut, stellt freilich auch ein Risiko dar. Er unterstützt aber auch jene Not, die sprichwörtlich erfinderisch macht. Ich zum Beispiel weiß, dass ohne diesen Druck keines der partizipativen Projekte, die ich mit ›nonconform architektur vor ort‹ abwickeln durfte, zustande gekommen wäre. Ich sage danke, und gleichzeitig fühle ich mit mit den vielen Menschen vor Ort in den Schulen. Sie stöhnen unter immer mehr Belastungen und auch unter Widersprüchen wie Individualisierung / Standardisierung oder Neue Pädagogik / keine Ressourcen. »Nur keine Angst, alles wird gut!« höre ich mich des Öfteren sagen und frage mich, warum ich mir da so sicher bin.
Das ist das Gute an unserer derzeitigen Situation: das Wissen kommt in der Praxis an und es entsteht auch immer präziser in der Praxis – und dafür gibt es immer mehr Verständnis, wenn nicht gar Einsicht. Auch Wissenschaft beginnt, das langsam anzuerkennen. So wie ein/e PädagogIn vom Instruktor zum Coach werden wird, so erkennt Wissenschaft zunehmend, dass sie derzeit zwar Praxis begleitend reflektieren kann, aber nicht davon ausgehen soll, vorgebend Theorie zu erklären. Niemand ist mehr interessiert am wachsenden › Text-, Daten- und Theoriemüll‹, viele wollen endlich etwas tun (vgl. dazu Schriften von Burow). Ich lerne derzeit viel – und das vor allem durch die Praxis, die ich begleitend reflektiere. Das finde ich aufregend. Es macht einfach mehr Spaß, als nur Bücher zu lesen.
Diese Diskussion hat sich also tief in die Welt der Pädagogik und der Schulen eingeschrieben. Es ist allerdings nicht um alle Disziplinen gleich gut bestellt ist. Die Architektur beispielsweise hat da noch viel vor sich. Die meisten ArchitektInnen sehen/spüren Angst ohnedies nicht, geschweige denn sie anerkennen ihre Existenz als Problem (und damit auch als Entwicklungschance!). Ich erinnere mich an etliche Gespräche ›unter uns‹, wo ich beispielsweise die Angst vor dem Verlust der Gestaltungshoheit eindeutig diagnostizieren konnte. Planung wird immer mehr zur Führung von Prozessen. Und gelingendes Führen im 21. Jahrhundert ist weniger eine Form des Machens (Management) als vielmehr eine Form des Zulassens (Leadership). In partizipativen Planungsprozessen gilt es für uns ArchitektInnen mit einer neuen Haltung einen Prozess zu ermöglichen, in dem sich alle einbringen können. Dabei entsteht ein Raum, der zerbrechlich aber höchst wertvoll ist. Dazu mehr im Artikel: